Gesundheit als gesamtpolitische Aufgabe für die Landeshauptstadt München begreifen

Die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brennglas und zeigt in vielerlei Hinsicht auf, welche gesellschafts-, gesundheits-, bildungspolitischen und anderen Probleme den Alltag vieler Menschen beherrschen und das nicht erst seit dem Ausbruch des Corona-Virus.

Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen und Vermögen infizieren sich im Durchschnitt nicht nur häufiger mit Corona, auch die Krankheitsverläufe und Folgewirkungen sind schwerer und langwieriger als bei Men- schen mit vergleichsweise hohen Einkommen und Vermögen. Zusätzlich sind jene Menschen von den wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Nebenwirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen erheblich stärker betroffen.

Der Stadtrat möge beschließen:

  1. das Gesundheitsreferat richtet einen unabhängigen Beirat zur fachlichen Begutachtung und Einschät- zung von Stadtratsbeschlüssen hinsichtlich gesundheitlicher Auswirkungen auf die Bevölkerung, im Besonderen auf vulnerable Personengruppen, ein.

  2. um eine möglichst breite beziehungsweise repräsentative Fachexpertise des Beirats zu gewährleisten, bedarf es Vertreter*innen aus verschiedenen gesellschafts- und gesundheitsrelevanten Bereichen und der städtischen Referate.

  3. des Weiteren sind neben Expert*innen aus dem Sachgebiet des jeweiligen Stadtratsbeschlusses auch betroffene Menschen anzuhören und miteinzubeziehen.

  4. der Beirat Gesundheit legt dem Stadtrat einen Bericht im Zwei-Jahres-Rhythmus vor.

Begründung:

Die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brennglas und zeigt in vielerlei Hinsicht auf, welche gesellschafts-, gesundheits-, bildungspolitischen und anderen Probleme den Alltag vieler Menschen beherrschen und das nicht erst seit dem Ausbruch des Corona-Virus.
Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen und Vermögen infizieren sich im Durchschnitt nicht nur häufiger mit Corona, auch die Krankheitsverläufe und Folgewirkungen sind schwerer und langwieriger als bei Men- schen mit vergleichsweise hohen Einkommen und Vermögen. Zusätzlich sind jene Menschen von den wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Nebenwirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen erheblich stärker betroffen.

Solche Wechselwirkungen sind für die meisten Krankheiten wissenschaftlich belegt: Armut hängt nach wie vor eng mit Krankheit, Ernährungsproblemen, Bewegungsmangel, Pflegebedarf und frühzeitigem Tod zusammen. Die persönlichen Lebensumstände sind der wichtigste Einflussfaktor auf die Gesundheit und bestimmen gerade die unterschiedlichen Gesundheitschancen zwischen Arm und Reich. Die Verringerung von Unterschieden in den Gesundheitschancen ist daher das wichtigste Ziel einer guten und gerechten Gesundheitspolitik.

Die Pandemie hält uns provokativ den Spiegel vor, was in der Krise wirklich wichtig ist: 

  • Eine gut ausgebaute, solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung für alle.
  • Ein stabiles soziales Sicherungsnetz vor allem für besonders gefährdete Gruppen.
  • Eine gesunde Lebensumwelt mit ausreichend Möglichkeiten sich zu bewegen, sich auszutauschen und sich in Entscheidungen vor Ort gestaltend einzubringen.
  • Eine offene und ehrliche überparteiliche Problemdarstellung und breitgeführte Diskussion darüber.

Dagegen sind prekäre Arbeitsverhältnisse, explodierende Mieten, schlecht ausgestattete Schulen oder die Profitorientierung im Gesundheitswesen kontraproduktiv.

Für das Ziel einer guten und gerechten Gesundheitspolitik fordern wir seit geraumer Zeit bereits etwa die Erstellung eines nachhaltigen, am Patient*innenbedürfnis orientierten Gesamtkonzeptes für die städtischen Kliniken unter Beteiligung des Personals und von Patientenvertreter*innen, eine Qualitätsverbesserung und Aufstockung der Ausbildungsplätze in allen Gesundheitsberufen und das Angebot von Patient*inneninformationen in Leichter Sprache sowie niedrigschwellige Beratungs- und Unterstützungsangebote vor Ort zur Selbstverständ- lichkeit zu machen.

2013 wurde im Rahmen der achten Weltkonferenz zur Gesundheitsförderung die sogenannte Helsinki-Erklärung verabschiedet. Das erarbeitete Programm „Health in All Policies“ wird als „ein Konzept für die Politik in allen Sektoren, die systematisch die Auswirkungen von Entscheidungen auf Gesundheit und Gesundheitssysteme berücksichtigt, Synergien sucht und schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit vermeidet, um die Gesundheit der Bevölkerung und gesundheitliche Chancengleichheit zu verbessern“ definiert.1 Gesundheit ist ein Menschrecht. Deshalb sind wir dazu verpflichtet, es auf bestmögliche Art einzulösen und umfassende Chancen zur Ge- sundheit zu bieten. Doch dafür braucht es gesunde Lebensverhältnisse auf allen politischen Ebenen, aber auch eine gesunde Umwelt.

Eine vorausschauende, sorgfältige und verantwortungsvolle Gesundheitspolitik, auch in der Landeshauptstadt München, ist unentbehrlich. Die Corona-Pandemie und damit einhergehenden immer sichtbarer werdenden Folgen müssen als längst überfälligen Anlass genommen werden, keine isolierten, zu kurz gedachten gesundheitspolitischen Maßnahmen oder gut gemeinten Verbesserungen vorzunehmen, sondern es ist die Pflicht des Stadtrats, Probleme und Missstände bei der berühmten Wurzel anzupacken. Eine oberflächliche Betrachtung jener Herausforderungen reicht bei weitem nicht aus, sondern es braucht tiefgreifende Analysen und darauf auf- bauend nachhaltiges Handeln für das langfristige Ziel der Beseitigung, mindestens aber sichtbaren Verringerung bestehender gravierender gesundheitspolitischer Missstände.

Der Beirat Gesundheit soll auf alle hier genannten Problemstellungen und Ziele ganzheitlich eingehen, Empfehlungen erarbeiten, dem Stadtrat berichten und die Umsetzung der Ziele in einem regelmäßigen Austausch kritisch begleiten.

Initiative:
Stadtrat Stefan Jagel 

Gezeichnet:
Stadträtin Marie Burneleit
Stadtrat Thomas Lechner
Stadträtin Brigitte Wolf


https://zukunftsforum-public-health.de/health-in-all-policies/

Link zum RIS: https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_antrag_detail.jsp?risid=6624406