Alleinerziehende in München – abgeschrieben und vergessen?

Dagmar Henn

Anfrage der Stadträtin Dagmar Henn aus Anlass des Armutsberichts der Bundesregierung zur Situation von Alleinerziehenden in München

Der vorliegende Entwurf des Armutsberichts der Bundesregierung bestätigt erneut, dass Alleinerziehende besonders von Armut bedroht sind. Seit der Einführung des ALG II werden Alleinerziehende und ihre Probleme in der Öffentlichkeit allerdings kaum mehr wahrgenommen bzw. unter der Bezeichnung „Langzeitarbeitslose“ subsumiert.

In einer Hochpreisstadt wie München muss davon ausgegangen werden, dass mehrere der grundlegenden Probleme Alleinerziehender sich verschärft auswirken. Armut Alleinerziehender ist unter anderem dadurch bedingt, dass Fraueneinkommen in Deutschland nach wie vor nicht ausreichen, um eine Familie zu ernähren; also auch Erwerbstätigkeit keinen Ausweg aus der Armut bieten kann und die Familie oftmals von aufstockenden Transfereinkommen abhängig bleibt. Auch fehlende Angebote der Kinderbetreuung, insbesondere in der Altersgruppe unter Drei wie im Schulalter, haben sofort gravierende Folgen.

Erwerbstätigkeit, insbesondere Vollzeiterwerbstätigkeit, führt andererseits dazu, dass die für Betreuung der Kinder erforderlichen Ressourcen an Zeit und Aufmerksamkeit deutlich abnehmen. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass eine leichte Verbesserung der wirtschaftlichen Lage mit einer Destabilisierung der Familiensituation einhergeht.

Die Pauschalierung vorheriger einmaliger Leistungen, das Fehlen entsprechender Leistungen für Schulbedarfe, die Preissteigerungen der vergangenen Jahre, all dies hat sich wahrscheinlich auf die Lebenssituation Alleinerziehender besonders gravierend ausgewirkt. Um die Münchner Entwicklung in diesem Bereich erfassen zu können, stelle ich folgende Fragen:

1.         Wie viele Alleinerziehende in München beziehen ALG II? Wie viele davon aufzahlend, also trotz Erwerbstätigkeit? Wie viele davon trotz einer Vollzeiterwerbstätigkeit?

2.         Wie hat sich der Zugang zu hochwertigen Weiterbildungsmassnahmen (also wirklicher beruflicher Qualifikation, nicht Bewerbungsschulungen o.ä.) seit der Einführung des ALG II entwickelt? Wie hat sich die Arbeitslosigkeit Alleinerziehender in den letzten Jahren entwickelt, wie im Vergleich zur Gesamtentwicklung (Vergleich Alleinerziehender/ Frauen allgemein)?

3.         Wie hat sich nach den Erkenntnissen der Bezirkssozialarbeit wie der Münchner Beratungsstellen für Alleinerziehende die Lage Alleinerziehender seit der Einführung des ALG II entwickelt?

a) Durch die Einführung des Elterngelds wurden für Eltern, die wenig verdienen, die Leistungen deutlich verringert. Davon dürften vor allem Alleinerziehende betroffen sein. Wie hat sich diese Änderung der Gesetzeslage auf die Münchner Alleinerziehenden ausgewirkt?

b) Wie oft musste auf Stiftungsmittel zurückgegriffen werden, um dringende Bedürfnisse von Ein-Eltern-Familien sichern zu können? Werden Stiftungsmittel überhaupt als eine Lösung der Probleme gesehen?

c) Ist bekannt, in welchem Ausmaß Alleinerziehende und ihre Kinder in München auf Lebensmittelspenden z.B. der Münchner Tafel angewiesen sind, um überleben zu können?

d) Hat sich die Zahl der von Verschuldung betroffenen Alleinerziehenden erhöht? In wie vielen Fällen musste wegen Mietrückständen eingegriffen werden? In wie vielen Fällen wegen Stromschulden?

e) Welche psychosozialen Probleme ergeben sich aus verschärfter Armut in Ein-Eltern-Familien? Welche gesundheitlichen Probleme treffen Alleinerziehende?

f) Hat sich die Zahl der Fälle, in denen Betreuung z.B. in Pflegefamilien erforderlich war, erhöht?

g)  Sind Koordinationsprobleme zwischen Jugendamt und ARGE bekannt, z.B., dass auf Alleinerziehende in bekannt schwierigen Familiensituationen seitens der ARGE Druck ausgeübt wird, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, obwohl das Jugendamt davon abrät?

4.            Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2005 (Becker/Hauser, Dunkelziffer der Armut), die mittels eines Simulationsmodells die Daten aus der „alten“ Sozialhilfe mit den neuen Daten aus dem ALG-II-Bezug verglich, ergab, dass mit dem Übergang zum ALG II sich die Dunkelziffer insbesondere im Bereich der Alleinerziehenden erhöht hat. Liegen Erkenntnisse vor, die dieses Ergebnis bestätigen?

5.            Das durchschnittliche Fraueneinkommen und die Prekarisierungsentwicklung der letzten Jahre, die überwiegend Frauen betrifft, lassen es fraglich erscheinen, dass sich durch Erwerbstätigkeit Armut bei Alleinerziehenden abwenden lässt. Welche alternativen Konzepte hat das Sozialreferat bisher entwickelt, um durch Weiterbildung oder durch anderweitige Unterstützung die Lage Alleinerziehender dennoch zu verbessern?

6.         Bei der Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen ist „alleinerziehend“ kein Kriterium mehr. Würde die Wiedereinführung eines Vorrangs für Alleinerziehende bei der Vergabe von Krippen- und Hortplätzen wie an Tagesheimschulen etc. zu einer Verbesserung der Lage Alleinerziehender in München führen?

7.         In den vergangenen Jahren haben sich die Anforderungen bei den Arbeitszeiten zunehmend verschärft. Überstunden und abweichende Arbeitszeiten werden immer häufiger. Für Alleinerziehende stellen Arbeitszeiten außerhalb der Öffnungszeiten der Kindertagesstätten ein erhöhtes Problem dar. Welche Erkenntnisse liegen darüber vor und welche Maßnahmen bestehen oder sind geplant, um hier Erleichterungen zu schaffen?

8.         Im vorliegenden Entwurf des Armutsberichts der Bundesregierung hat sich, als Folge der Lohnentwicklung der vergangenen Jahre im unteren Bereich, die Armutsgrenze (60% des gewichteten Einkommensmedians) deutlich nach unten verschoben, von 938 Euro im letzten Armutsbericht auf 781 Euro im vorliegenden Entwurf. Dieser Wert würde dann auch dem Münchner Armutsbericht und der daraus folgenden Planung im Sozialbereich zu Grunde liegen. Die Preisentwicklungen der vergangenen Jahre wie auch z.B. das Gutachten, das im Auftrag des Stadtrats zum SGB XII erstellt wurde, deuten auf einen massiven Kaufkraftverlust hin. Kann eine Armutsgrenze von 781 Euro im teueren München noch zu verlässlichen Aussagen über Armutsrisiken führen? Würde man eine münchenspezifische Armutsgrenze einführen (60% gewichteter Median des örtlichen Einkommensspektrums), wo läge diese? Welcher Anteil Alleinerziehender wäre arm, wenn man dieses Kriterium zu Grunde legte?

Dagmar Henn
Stadträtin der LINKEN

 

Stichwort: 080520_SOZ_DH_Anfrage_Alleinerziehende

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