Nachgefragt: Türkenstraße 52/54: Wohnraum vernichtet für Spekulation

Mitten in der Türkenstraße klafft weiter ein riesiges Loch – genau dort, wo früher bezahlbarer Wohnraum für breite Teile der Gesellschaft stand, der seit 2012 entmietet und 2019 abgerissen wurde. Seitdem der Block 2008 in die Hände der Spekulanten fiel, hat sich allein der Bodenwert fast verfünffacht. Bis zur angeblichen Fertigstellung des Neubaus im Jahr 2022/23 wird der Bodenwert voraussichtlich weiter stark ansteigen.

Mitten in der Türkenstraße klafft weiter ein riesiges Loch – genau dort, wo früher bezahlbarer Wohnraum für breite Teile der Gesellschaft stand, der seit 2012 entmietet und 2019 abgerissen wurde. Seitdem der Block 2008 in die Hände der Spekulanten fiel, hat sich allein der Bodenwert fast verfünffacht. Bis zur angeblichen Fertigstellung des Neubaus im Jahr 2022/23 wird der Bodenwert voraussichtlich weiter stark ansteigen. Wohnraum wurde vernichtet und zweistellige Millionenbeträge eingestrichen. Leistungslose Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit.

Die Türkenstraße 52/54 ist beispielhaft für eine schonungslose Gentrifizierung im Sinne der Profitmaximierung, die sich in ganz München zeigt. Einem solchen Treiben darf nicht weiter zugesehen werden. München darf nicht zur Stadt der Reichen verkommen. Die Stadt muss hier entschlossen handeln. Auch wenn die Antwort auf unserer Anfrage Nr. 14-20 / F 01737 zur Türkenstraße 52/54 zur Klärung von Fragen beigetragen hat, bleiben weitere Fragen offen.

 

Wir bitten daher den Oberbürgermeister folgende Fragen zu beantworten:

1. Wie viel Wohnraum entsteht als „Ersatzwohnraum“ durch den Neubau in der Türkenstraße 52/54 und wie viel Wohnraum wurde durch den Abriss des Bestandes vernichtet? (Bitte jeweils Gesamtwohnfläche in m² und Anzahl der Wohnungen) Handelt es sich hierbei um Miet- oder Eigentumswohnungen?

2. Welche Unterschiede zum Fall in der Türkenstraße 52/54 hätte es gegeben, wenn die aktuelle Zweckentfremdungssatzung (ZeS) schon vor zehn Jahren angewandt worden wäre? Hätte dadurch der Abriss bezahlbaren Wohnraums und der Bau von teuren Eigentumswohnungen verhindert werden können?

3. „Für das Anwesen in der Türkenstraße 52 und 54 wurden mehrere Genehmigungsverfahren durchgeführt“. Wann wurden die einzelnen Bauanträge jeweils beantragt und genehmigt bzw. abgelehnt? Welche Änderungen gab es dabei jeweils? Aus welchen Gründen wird das Bauvorhaben als „äußerst komplex“ bezeichnet?

4. „Im Rahmen neuerer Bebauungspläne wird das geschaffene Baurecht mittels Bauverpflichtungen sichergestellt, wonach die Bauherrinnen und Bauherrn verpflichtet sind, das Grundstück innerhalb einer zuvor bestimmten Frist antragsmäßig zu bebauen“. Wie lange sind diese Fristen in der Regel und welche Konsequenzen hat eine Überschreitung dieser Fristen? Gibt es für das 2019 genehmigte Bauvorhaben in der Türkenstraße 52/54 eine solche Frist? Wenn ja wie lange ist diese?

5. „Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass Investoren und Entwickler wiederholt umdisponieren, um ihre Planungen zu optimieren und dies der Hauptgrund für Verzögerungen ist“. Während der Gesellschaft dringend benötigter Wohnraum vorenthalten wird, führen solche Verzögerungen zu hohen, leistungslosen Gewinnen für die Investoren. Welche Kriterien nutzt die Stadt, um festzustellen, ob Umplanungen über Jahre hinweg nur „vorgeschoben“ werden? Wie war die Einschätzung der Stadt zu den permanenten Umplanungen des ehemaligen Eigentümers (bis 2018)?

6. Ist es üblich, dass sich solche Prozesse über zehn Jahre hinziehen (2012: Abrissgenehmigung; 2023: Fertigstellung Neubau)? Ist eine solche Verzögerung vereinbar mit dem §4 Abschnitt (2).2 der Zweckentfremdungssatzung wonach „Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instandgesetzt oder modernisiert“ werden muss, um als nicht zweckentfremdet eingestuft zu werden?

7. Welche Mittel nutzt die Stadt um ein ständiges „Optimieren“ der Planungen einzuschränken, um sicherzustellen, dass Wohnraum wirklich zügig wieder zur Nutzung bereitgestellt wird? Wie bewertet die Stadt den Zusammenhang, dass durch die „Optimierung“ der Planungen vor allem auch die Profite der Eigentümer durch stetig steigende Bodenpreise optimiert werden?

8. Wie betrachtet die Stadt unter diesen Gesichtspunkten die Aussage des Geschäftsführers der Real Treuhand Immobilien Norbert Obermayr in ,Hallo München´ vom 23. Oktober 2019: „Ich schließe einen Verkauf allerdings nicht aus, wenn ein anderer Investor kommen sollte.“?

9. Die Antwort auf unsere Anfrage ergibt, dass die vier renovierten Wohnungen im bestehenden Haus in der Türkenstraße 54 in den nächsten Jahren bis zur Fertigstellung 2023 weiterhin leer stehen dürfen, damit nicht „die potentiellen Mieter den Lärmbelästigungen“ ausgesetzt werden - drei weitere Jahre Leerstand. Abgesehen davon, dass die Wohnungen teilweise schon seit fünf Jahren leer stehen und die anderen Mietparteien sowie die komplette Nachbarschaft auch mit der Lärmbelästigung durch die Baustelle leben müssen: Auf welchen Paragraphen in der Zweckentfremdungssatzung stützt sich die Ausnahme für Zweckentfremdung durch Lärmbelästigung? Ist durch einen Baubeginn im Jahre 2020 auch der seit 2015 bestehende Leerstand in der Türkenstraße 54 gerechtfertigt und gilt diese Regelung auch für die umliegenden Häuser, die von der Lärmbelästigung durch die Arbeiten an der Türkenstraße 52/54 betroffen sind?

10. In der Antwort auf unsere Anfrage wird festgehalten, dass „für die Türkenstraße 54 (..) bislang keine Abgeschlossenheitsbescheinigung beantragt oder erteilt“ wurde. Der durch den Eigentümer mit Lärmbelästigung begründete fortgesetzte Leerstand von Wohnungen in der Türkenstraße 54 wiederum würde deren Vermarktung nach einer Umwandlung entscheidend erleichtern, da noch bestehende Mietverhältnisse den erzielbaren Verkaufspreis deutlich schmälern würden. Angesichts dieser pikanten Konstellation: Welche Möglichkeiten des Mieter*innenschutzes sieht die Stadt München im Falle der Beantragung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung zur Umwandlung in Eigentumswohnungen?

11. Rechtfertigt nicht die Tatsache, dass allein im Bereich der Türkenstraße zwischen Theresien- und Schellingstraße gleich mehrere Häuser von Abriss oder Umwandlung akut bedroht sind, die Wiedereinführung einer Erhaltungssatzung für die Maxvorstadt? Hätte die Zerstörung des Mietwohnraums verhindert werden können, wenn das Gebäude weiterhin Teil eines Erhaltungssatzungsgebietes gewesen wäre? Bis in die 90er Jahre war das Gebiet Teil der Erhaltungssatzung Amalienstraße.

12. Wie gedenkt sich die Stadt München in Bezug auf die unlängst erfolgte ersatzlose Streichung eines Paragraphen zu erweiterten Umwandlungsvorbehalten im Gesetzesentwurf zur Baulandmobilisierung des Bundesinnenministeriums zu verhalten?

13. Die Häuser in der Türkenstraße 52/54 wurden erst in den 80ern umfänglich saniert sowie modernisiert und dadurch auf den neuesten technischen Stand gebracht. In den 2000ern wurden die Fassaden neu verputzt. Der Abriss der Wohnungen ist deswegen nicht nur aus Sicht des bezahlbaren Wohnraumes absurd, sondern auch aus ökologischer Sicht. Bei der Betrachtung der Energiebilanz des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes sprechen Expert*innen sogar davon, dass „eine Sanierung jedem Neubau, selbst dem von Passivhäusern, vorzuziehen ist.“1 Welche Maßnahmen will die Stadt München ergreifen, um dieser Feststellung gerecht zu werden, nachdem im letzten Jahr der Klimanotstand ausgerufen wurde?

Initiative: Brigitte Wolf
Stefan Jagel
Marie Burneleit
Thomas Lechner

Mitglieder des Stadtrats

Originalvorlage als PdF-Dokument